- c) Das Problem der Schelde
als Marschziel Cäsars
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- Das Marschziel Cäsars,
die Schelde und die Ausläufer der Ardennen hat sei eh und je
große, bis heute nicht gelöste Schwierigkeiten
verursacht 101). Wenn Cäsar sagt, die Schelde
fließe in die Maas, so kann das nur für den früheren
Hauptarm der Schelde gelten, die Striene, welcher nördlich
von Antwerpen ansetzte und über Bergen-op-Zoom nordwärts
zur Maas floß, doch heute aufgefüllt ist 102).
Falls die Schelde die Westgrenze des Eburonenlandes bildete, dann
nur vom Rupel ab nordwärts, denn südlich derselben
saßen die Nervier 103). Die Rupel fließt
südlich von Antwerpen in die Schelde. Bis zu seiner Mündung
sind es schon von Tongeren aus beinahe 90 km. Eine solche Strecke
hin und zurück in sieben Tagen hätte nur in Eilmärschen
bewältigt werden können, doch nicht bei Märschen
mit operativem Einsatz.
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- Es läßt sich aber
die Niederschelde als Marschziel nicht in Einklang bringen mit
den Ausläufern der Ardennen. Nach Cäsar zog sich der
Ardennerwald vom Rhein her mitten durch das Trevererland bis an
den Anfang des Remerlandes (V 3,4) bzw. bis zu den Nerviern (VI
29,4). Da Cäsar vom Rhein her nach Atuatuca marschiert ist,
könnten mit den Ausläufern der Ardennen die westlichen
gemeint sein. Die untere Schelde und die westlichen Ausläufer
des Ardennenwaldes als gemeinsames Ziel für eine sieben Tage
währende Ausrottungsaktion mit Zeitaufwand stellen für
die Textinterpretation ein unlösbares Problem dar.
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- Letzten Endes kann die untere
Schelde nicht die Grenze des Eburonenlandes gewesen sein, da von
diesem nur die pars minima
auf dem Westufer der Maas lag. Nach J. Mertens erstreckte sich
das Land der Eburonen vom Rhein bis an die Dijle 104)
(etwa Löwen). Doch auch diese dünkt uns noch zu weit
westlich, da wir nicht wissen, ob sich nicht das Gebiet der
Atuatuker über Namur hinaus nordwärts entlang der Dijle
in einem breiten Streifen zwischen Nerviern und Eburonen
fortgesetzt hat. Auf seinem Ritt von Atuatuca zu den Nerviern
durchquert Ambiorix das Land der Atuatuker (V 38, 1-2). Falls er
dabei die Straße Tongeren - Binche benutzt hat, muß
sich dieses über jene Straße hinaus nach Norden bis
zur Dijle hin ausgestreckt haben. Die östliche Begrenzung
desselben könnte ovn der Mehaigne, die gegenüber Huy in
die Maas mündet, gebildet woden sein 105).
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- Um die Schwierigkeit zu
beheben, ist gesagt worden, Cäsar habe sich bei der Nennung
der Schelde geirrt oder es habe einen zweiten Fluß namens
Scaldis gegeben, der später anders benannt worden sei, oder
der Kopist habe einen ähnlich lautenden Flußnamen wie
ad flumen Sabim
106) oder Calbim
107) oder Sualbim
108) durch den Samen Scaldim
der ihm besser bekannten Schelde ersetzt. Von diesen
Korrekturvorschlägen ist ad flumen Sualbim
der beste. Diese Sualbis
wäre dann die Schwalm, niederländisch de
Zwalm, welche nördlich von Roermond, von Osten
kommend, etwa 50 km nordwestlich von Eschweiler in die Maas
mündet. Ihr römerzeitlicher Name ist nicht bekannt.
Doch eine hypothetische Form Sualbis
müßte durch Einwirken des i-Umlauts Schwelf
oder Schwell, und eine verbesserte hypothetische Form
wie Sualmis
müßte Schwelm ergeben, wie ähnlich
Scaldis zu
Schelde führt 109). Man müßte
folglich schon für die heutige Schwalm einen römerzeitlichen
Namen wie Sualma
oder Sualmus
ansetzen, eine Form, die sich lautlich schon merklich von Scaldis
entfernt. In geographischer Hinsicht ließe sich die Schwalm
mit einer Lokalisierung Atuatucas nordöstlich von Aachen gut
in Einklang bringen, doch muß man sich fragen, welche
Orientierungshilfe die Nennung eines kleinen Nebenflusses der
Maas den römischen Senat, für den Cäsars
Kriegsberichte in erster Linie bestimmt waren, und dem römischen
Leser hätte bieten können. Schließlich wird die
Schelde von Cäsar nur einmal erwähnt, und zwar unter
der Form Scaldim
bzw. Scaldem.
Andere Varianten sind in den Handschriften nicht enthalten 110).
Folglich dürfte dieser Name ursprünglich und echt und
nicht verschrieben sein, so daß wir versuchen müssen,
mit ihm zurechtzukommen.
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Eine Lösung könnte sich
finden lassen, wenn man folgendes erwägt:
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1) Die Aussage ad
flumen Scaldim kann auch als
nach dem Scheldefluß hin verstanden werden
111). Cäsar sagt nur, daß er beschloß,
zur Schelde hin zu marschieren, er sagt nicht, daß er sie
erreicht hat 112). -
2) Die drei genannten
Marschrichtungen führen alle von Atuatuca aus in westlicher
Richtung: Labienus nach Nordwesten in Richtung Menapier,
Trebonius nach Südwesten in Richtung Atuatuker, Cäsar
nach Westen in Richtung Schelde. Die Erwähnung der Schelde
erhält einen Sinn, wenn man das Lager Atuatuca etwa auf dem
Ichenberg nordöstlich von Aachen lokalisiert, denn von hier
aus konnte die westliche Begrenzung der Operationen nicht die
Maas sein, da ein Teil des Eburonengebietes sich über diese
hinaus nach Westen hin erstreckte, folglich mußte als
mögliche Orientierungshilfe für die römischen
Adressaten der nächste nach Westen hin folgende größere
Fluß genannt werden, und das war die Schelde. Die Erwähnung
der Maas im Zusammenhang mit der Schelde, welche in die
Maas mündet (die Striene), ist wohl dadurch bedingt,
daß das Land der Eburonen sich zum größten
Teil zwischen Maas und Rhein erstreckte. Durch die Nennung
der Maas weist Cäsar auf das jenseits derselben gelegene
Gebiet der Eburonen hin. Sein Operationsfeld bleibt an der Maas
orientiert. -
3) Es fällt auf, daß
Cäsar konkrete geographische Angaben nur für den nach
Westen führenden Ausrottungsfeldzug macht. Bei der zweiten
Strafexpedition heißt es lediglich: Cäsar bricht
erneut auf, um das feindliche Land zu verheeren und entsendet
eine große Anzahl [Reiter] aus den Nachbarstämmen in
alle Richtungen (in omnes partes dimittit
VI 43,1). Der Rhein wird in diesem Zusammenhang überhaupt
nicht erwähnt. Mit der Nennung der Schelde verfolgt Cäsar
offenbar das Ziel, die zu weite Entfernung Atuatucas von seinem
Hauptquartier in Amiens ein Jahr zuvor nachträglich noch
verschleiern. Durch die Nichtnennung des Rheins im Osten und
Nordosten von Atuautca und durch die ausdrückliche Erwähnung
der Schelde als Marschrichtung erhält sein Bericht eine
betont westliche Note, eine für ihn günstige Optik.
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- Anmerkungen
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- 101) Vgl. Albert PIERRET,
L'énigme du Scaldis, in: Revue belge des philologie et
d'histoire 17, 1938, S. 894-906.
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- 102) Vgl. DE LAET (Anm. 99),
S. 25. Die Striene ist auf der Karte 1 und 2 von MERTENS (Anm.
14), nicht dargestellt.
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- 103) Karte bei DE LAET (Anm.
99), S. 39, und MERTENS (Anm. 14), Karte 2. Vgl. zu dieser Frage
G. FAIDER-FEYTMANS, Les limites de la cité des Nerviens,
in L'Antiquité Classique 21, 1952, S. 351 und dazu die
Kritik bei DE LAET (Anm. 99), S. 27 mit Anm. 49.
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- 104) MERTENS (Anm. 14), S. 4.
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- 105) Vgl. PIERRET (Anm. 101),
S. 900. - Vgl. auch HOLMES (Anm. 1), S. 393: Moreover, I
agree with M. de Vlaminck that the territory of the Autatuci,
before they came in collision with Caesar, extended further
eastward than is commonly assumed.
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- 106) So Stephanus (vgl.
Textausgabe von SEEL [Anm. 7], S. 197, zu Zeile 21). Der Sabis
bezeichnet jedoch nicht die Sambre, welche sich in Namur in die
Maas ergießt, sondern die Selle, einen rechten Nebenfluß
der Schelde in Nordfrankreich. (Vgl. GRISART I [Anm. 36]. S. 153
f. mit Anm. 49). Der Name der Sambre zur Römerzeit ist nicht
bekannt.
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- 107) So Berk (vgl.
Textausgabe von SEEL [Anm. 7], S. 197, zu Zeile 21). Die Calbis
(richtig Celbis)
bezeichnet die Kyll in der Eifel, die sich in der Nähe von
Trier in die Mosel ergießt und daher noch die weitere
Textkorrektur Mosa
in Mosella
erforderlich macht (Ebd.)
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- 108) PIERRET (Anm. 101), der
Scaldis =
Schelde, welche sich in die Maas ergießt, nicht
gelten läßt, zählt die Nebenflüsse der Maas
unterhalb von Maastricht auf und erwähnt dabei als rechten
Nebenfluß die Swalm
(EBD., S. 906 und Karte 2). CRISART hat diese Anregung übernommen
und postuliert für die heutige Schwalm eine römerzeitliche
Form Sualbis
als Ersatz für Scaldis
(GRISART I [Anm. 36], S. 195 f., und GRISART II [Anm. 36], S. 16
mit Anm. 86). In einem Brief vom 31.1.1976 an den Verfasser
verteidigt Dr. Jean DE WALQUE, Spa, die These, mit Scaldis
sei die Schwalm
gemeint, u. a. mit dem Hinweis auf Fr. MAYER, Zur ältesten
Geschichte des Landes Wassenberg, in: ZAGV 34, 1912, S. 53 ff.,
bes. S. 65, die Schwalm habe eine Stammesgrenze gebildet. Nimmt
man diese These an, dann war die Marschrichtung des Labienus in
Richtung Menapier nicht der Nordwesten, sondern der Norden. Cäsar
wäre dann selbst in nordwestlicher Richtung zur Mündung
der Schwalm marschiert, alsdann nach Süden entlang des
rechten Maasufers bis etwa Lüttich, um dann durch die
nördlichen Ausläufer der Ardennen zum Lager in Atuatuca
zurückzukehren. Es hätte sich dann um eine
großangelegte Durchkämmungsaktion des Gebietes östlich
der Maas gehandelt. Diese Interpretation würde gut zu einer
Lokalisierung des Lagers Atuatuca auf dem Ichenberg passen, doch
ist es immer mißlich, von einer Textkorrektur auszugehen.
Daher unsere Bedenken gegen die These Scaldis
= Schwalm.
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- 109) Vgl. Hans KRAHE,
Germanische Sprachwissenschaft, I. Einleitung und Lautlehre
(Sammlung Göschen, Band 238), Berlin 1942, § 37, S. 50.
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- 110) Vgl. Textausgabe SEEL
(Anm. 7), S. 197, zu Zeile 21. Vgl. auch PIERRET (Anm. 101), S.
896 mit Anm. 1.
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- 111) Zur Bedeutung von ad
bei Cäsar vgl. MERGUET (Anm. 39), S. 20, welcher als
Übersetzung von ad
nach - hin, zu, bis zu, bei nach, gemäß, gegen,
ungefähr angibt.
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- 112) So
KRANER/DITTENBERGER/MEUSEL (Anm. 12), S. 533; so auch HOLMES
(Anm. 1), S. 375: Caesar does not say that he went all the
way to the Scheldt.
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