Aus dem Rheinischen Freilichtmuseum Kommern
Von Hans-Georg Schmeling


Mit dem fortschreitenden Ausbau unseres Museums verlängert sich naturgemäß auch die für einen Rundgang erforderliche Besichtigungsdauer. Aber gerade in einem Freilichtmuseum darf eine Besichtigung keinesfalls zu einer unzumutbaren Anstrengung werden. Viele Besucher haben deshalb den verständlichen Wunsch, während ihres Rundganges von Zeit zu Zeit eine kleine Pause einzulegen. Um ihnen eine solche Rast zu ermöglichen bzw. angenehmer zu gestalten, haben wir in unserem Museumsgelände an zahlreichen Stellen Bänke und teilweise auch Tische aus alten Mühlsteinen aufgestellt.

Um das Gesamtbild im „Eifeldorf“ abzurunden, wurde inzwischen auch der Dorfweiher fertiggestellt und mit verschiedenen Fischarten besetzt. Es wurden außerdem Wege gepflastert und Zäune gesetzt, es wurde gesät und geerntet und viele andere Kleinarbeit verrichtet, die nun einmal mit einem Freilichtmuseum verbunden ist. Aber die meisten dieser Nebenarbeiten werden dem Besucher wohl kaum ins Auge fallen. Er wird wohl nur die Errichtung neuer Museumsbauten bemerken und hier vor allem den weiteren Ausbau der Baugruppe „Westerwald und Mittelrhein“.


Museumsdirektor Dr. Zippelius begrüßt den 500.000 Besucher
Foto: O. Becker

Das interessanteste der in dieser Baugruppe im Vorjahr errichteten Gebäude ist ohne Zweifel die Scheune aus Langenscheid (Unterlahnkreis) mit einem nach Westen hin tief abgeschleppten Strohdach, wie wir es auch bei dem gegenüberstehenden Haus aus Bilkheim finden. Es handelt sich bei diesem Bauobjekt um eine sogenannte „Firstsäulenscheune“ mit einem Grundriß von 10,2 x 9,4 m. Der gleiche Scheunentypus ist uns bereits in der Baugruppe „Eifel und Köln-Bonner Bucht“ begegnet (Scheune aus Breidscheid, Kreis Ahrweiler). Diese beiden Firstsäulenscheunen sind die ältesten Bauwerke, die wir bisher für unser Museum erwerben konnten. Zwar weist keine Jahreszahl auf ihr Erstellungsjahr hin, doch können wir schon an Hand ihrer urtümlichen Konstruktion vermuten, daß diese Gebäude noch aus dem 16. Jahrhundert stammen. Die bei ihnen angewandte Zimmerungstechnik war zwar in früheren Zeiten über ganz Mitteleuropa verbreitet, verschwand jedoch seit etwa 1600 fast völlig. Heute finden wir Gebäude dieser Art nur noch in wenigen Reliktgebieten und auch dort immer seltener. Scheunen wie diejenigen aus Breidscheid und Langenscheid sind also große Raritäten, und deshalb sind wir besonders froh, nun gleich zwei dieser seltenen Bauwerke in unserem Museum zeigen zu können. Da die Scheune aus Langenscheid somit ein Beispiel für eine längst vergangene Zimmerungstechnik ist, sollte jeder Besucher dies scheinbar unauffällige Bauwerk ein wenig sorgfältiger betrachten, als es bei Scheunen im allgemeinen der Fall ist. Der Museumsweg führt uns unmittelbar an der Scheune vorbei, so daß uns ihr Straßengiebel schon beim Eintritt ins Westerwalddorf ins Auge fällt und wir die für diesen Scheunetypus charakteristische Konstruktion ungehindert betrachten können. Wir erkennen in der Giebelmitte ein schwere, senkrecht stehendes Holz, das von der Schwelle bis zum First hinaufreicht. Dies ist die sogenannte „Firstsäule“, von der die gesamte Konstruktion ihren Namen hat. Natürlich befindet sich am rückwärtigen Scheunengiebel eine entsprechende zweite Firstsäule. Auf diesen beiden Säulen ruht in der Regel ein waagerechtes Holz, der „Firstbaum“ als Träger der Dachhölzer. Das Fehlen dieses Firstbaumes in unserem Falle kann als Übergangserscheinung zu der jüngeren Sparrendachkonstruktion verstanden werden. Bemerkenswert sind auch die in den Giebeln deutlich zu erkennenden „Schwertungen“, das sind starke Hölzer, die den Verband versteifen und meist bis in den Dachraum hinaufreichen. Sie sind mit den waagerechten „Riegeln“ verblattet und durch schräg (!) eingesetzte Holznägel gesichert.


Gäste aus England (Jugendaustausch mit Münstereifel) im Freilichtmuseum
Foto: O. Becker

Obwohl die Langenscheider Scheune, wie bereits erwähnt, keine Jahreszahl aufweist, können wir ihr genaues Entstehungsjahr angeben: 1586. Zu dieser exakten Datierung verhalf uns die Jahrringchronologie, die im wissenschaftlichen Sprachgebrauch auch „Dendrochronologie“ genannt wird. Wir alle wissen, daß unsere Bäume in jedem Jahre einen neuen Ring ansetzen. Die Dendrochronologie hat nun festgestellt, daß diese Ringe sich keineswegs alljährlich gleich stark entwickeln, sondern stets eine unterschiedliche Breite aufweisen. Entscheidend für die Stärke eines Ringes sind die in seinem Wuchsjahr herrschenden Wachstumsbedingungen, die wiederum durch die jeweilige Witterung verursacht werden. So waren zum Beispiel im Jahre 1909 die Wachstumsbedingungen für die Eiche in Mitteleuropa so ungünstig, daß alle Bäume nur einen sehr schmalen Jahresring ansetzen konnten. Im folgenden Jahre 1910 waren dagegen sehr günstige Wachstumsbedingungen vorhanden. Die Breite der Jahresringe stieg daher in diesem Jahre erheblich an, bei manchen Bäumen sogar um das Doppelte. Jedem Ring kann also sein Wuchsjahr mit absoluter Sicherheit zugewiesen werden, wenn mit mit den Ringen einwandfrei datierter Hölzer aus demselben Klimagebiet vergleicht. Auch bei jahrhundertealten Hölzern kann man auf diese Weise feststellen, wann sie gefällt worden sind. D früher zum Hausbau grundsätzlich nur frisch gefällte Hölzer verwendet wurden, kann das Erstellungsjahr eines Gebäudes einwandfrei datiert werden. Die Dendrochronologie ist deshalb auch für unser Freilichtmuseum von großer Bedeutung.


Spindelkelter im Kelterhaus aus Oberdollendorf (Siegkreis)
Foto: Freilichtmuseum

An dem Kelterhaus aus Oberdollendorf (Siegkreis) brauchten wir jedoch keine dendrochronologischen Untersuchungen vornehmen zu lassen, denn das Jahr seiner Errichtung ist deutlich in den Sturz über dem Eingangstor geschnitzt: 1641. In diesem Hause vollzogen sich früher alle Arbeiten des Winzers bei der Weinbereitung. Wir haben das Gebäude vor wenigen Monaten seiner ursprünglichen Bedeutung entsprechend eingerichtet, und seither hat es bei allen Besuchern großes Interesse gefunden. Sämtliche Geräte, die beim Weinbau und bei der Weingewinnung benötigt wurden, haben wir hier zusammengestellt.


Geräte im Kelterhaus aus Oberdollendorf
Foto: Freilichtmuseum

Das wichtigste Gerät bei der Weingewinnung war zweifellos die Kelter, also die Traubenpresse. Deshalb hat auch das gesamte Gebäude, in dem sie ihren Platz gefunden hatte, von ihr seinen Namen erhalten. Die in unserem Kelterhaus aufgestellte Presse stammt aus Oberhilbersheim (Kreis Bingen). Wie eine Jahreszahl im oberen Rahmenbalken ausweist, wurde sie 1825 zum erstenmal in Betrieb genommen. Es ist eine sogenannte Spindelkelter, in manchen Gegenden auch „Pitschkelter“ genannt. Ihr charakteristisches Merkmal ist eine massive Holzschraube, die sich von ihrem mächtigen Muttergeschränk herabsenkt und dabei die in dem schweren Keltertrog aufgeschütteten Trauben unter sich zusammenpreßt. Am oberen Ende dieser Schraube befinden sich zwei weitere, durchgehende Bohrlöcher. Dadurch ist es möglich, an vier Seiten der Schraube den meist sehr langen Dreharm einzusetzen, der mit den Händen gedrückt wurde und so die Schraube in Bewegung setzte. In ihrer einfachen Form sind solche Spindelkeltern bereits um 50 n. Chr. entstanden. Gegenüber den vorher verwendeten Kelterarten waren sie eine geradezu revolutionierende Erfindung, und wegen ihres raumsparenden Umfanges hatten sie auch von allen Pressen die längste Lebensdauer. Natürlich wurden sie im Laufe der Zeit fortwährend verbessert. Schon im Mittelalter wurde der größte Nachteil dieser Kelterart beseitigt: Das Preßvermögen der Schraube war im allgemeinen nur auf den Druck beschränkt, den die menschliche Kraft unmittelbar auf den Dreharm ausübte. Wenn jedoch im Verlaufe des Preßvorganges der Widerstand der Keltermasse immer größer wurde und der Druck demzufolge verstärkt werden mußte, reicht die menschliche Kraft meist nicht mehr aus. Deshalb stellte man neben der Kelter eine aufrecht stehenden Wellbaum auf, dessen Schlingseil man an dem Dreharm befestigte. Durch die derart entstandene Seilwinde konnte man den Druck der Schraube erheblich vergrößern. Auch unsere Kelter aus Oberhilbersheim ist mit einer solchen Winde verbunden. Aber trotz aller Verbesserungen mußte die Spindelkelter doch allmählich den industriellen Keltern weichen, auch wenn sie in kleineren Betrieben noch bis vor kurzem benutzt wurde.

Da die Spindelkelter eine jahrhundertelange Lebensdauer hatte, ist es nicht verwunderlich, daß die ersten industriellen Keltern nach ihrem Vorbilde mit einer festen Schraube konstruiert wurde. Ehe jedoch der Winzer seine Kelter im Herbst in Betrieb nehmen konnte, lag ein Jahr mühseliger Arbeit hinter ihm. Die schweren Hacken in einer Ecke unseres Kelterhauses weisen auf die Arbeit hinter ihm. Die schweren Hacken in einer Ecke unseres Kelterhauses weisen auf die Arbeit am Boden hin. In jedem Frühjahr wurde der Weinberg mit diesen Geräten einmal umgehackt. Außerdem mußte der Winzer den Boden von Zeit zu Zeit auflockern, er mußte das Unkraut beseitigen und das Regenwasser ableiten, so daß er mit den Erdarbeiten eigentlich nie fertig wurde. Die zahlreichen Rebmesser erinnern daran, daß auch die Arbeit am Stock nicht vernachlässigt werden durfte. Mit dem Beginn der Lese setzte dann auch die Arbeit an der Traube ein, wozu die meisten der in unserem Kelterhaus vorhandenen Geräte benutzt wurden: Traubeneimer und Kiepen, Stößel und eine Traubenmühle, Blasebälge und Pumpen. Ebenso notwendig waren natürlich Fässer und Schläuche, Krüge, Bütten und viele anderen Hilfsmittel.

Es ist schon im Heimatkalender 1965 darauf hingewiesen worden, daß auch in unserem Kreise jahrhundertelang intensiver Weinbau betreiben wurde. Die Geräte in dem Kelterhaus aus Oberdollendorf vermitteln uns somit einen Einblick in die harte Arbeitswelt vieler unserer Vorfahren.

Entnommen: Heimatkalender des Kreises Euskirchen 1967

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