Die Burg Zievel.
Von Geh. Reg.-Rat Dr. Franz Cramer-Münster.

Es ist lange, sehr lange her. Aber es steht mir deutlich vor Augen, wie an einem schönen Sonntagmorgen, nicht lange nach dem glorreichen Kriege von 1870 - 71, mein seliger Vater mich mit der freudigen Nachricht überrascht, ich dürfe ihn nach Burg Zievel begleiten. Wir folgten der freundlichen Einladung der Burgherrschaft; es war ein festlicher Tag, wohl im Rahmen der Kirchweihfeste, wie sie zur guten Sommerszeit in den Gauen der lieben Heimat mit viel harmloser Fröhlichkeit und mit viel Fladen, Knipplätzen, Rollkuchen, Flachsknöpfchen usw. gefeiert wurden. Von Münstereifel aus wandten wir uns da, wo das liebliche Eschweiler Tal sich zur Erft öffnet dem Bergpfad zu, der uns in etwa zwei Stunden zum Ziele führte. Die Versuchung, mit dem „Bähnchen“ eine Strecke zu fahren, blieb uns fern; denn das gab es damals noch nicht. Um so länger erfreuten wir uns des malerischen Weitblicks über die weitgedehnte fruchtbare Hochfläche um Wachendorf, Antweiler und bis zu den begrenzenden Waldhöhen in der Ferne. Mich fesselte schon von weitem der mittelalterliche Bergfried, an den sich, wie Schutz suchend, die Baulichkeiten lehnen, und es war mir der größte der gastlich gebotenen Genüsse, als wir Jungen - auch mehrere Vettern und Nichten der unverheirateten Burgherren, die in brüderlicher Eintracht dort hausten, waren anwesend - nach Aufhebung der Tafel die Erlaubnis erhielten, uns in den Winkeln und Verstecken der alten Mauern, Türme, Gräben spielend zu vergnügen. In unmittelbarer Nähe eines Mauerturmes fielen wir damals merkwürdige rote Ziegelstücke auf, die von anderen Bauresten sich deutlich abhoben. „Das ist römisch“, belehrte mich, den angehenden Quintaner, ein älterer Spielgefährte, ein wohlbestallter Tertianer. „Hier hat überhaupt ein römisches Haus gestanden; das hat mein Onkel gesagt.“ In der Tat war es so. Damals aber regte dies kleine Erlebnis meine Einbildungskraft mächtig an; verschlang ich doch in jenen Tagen gerade Annegarns Weltgeschichte, und neben den griechischen Göttergeschichten machten die Heldentaten der Germanen gegen die römischen Weltbezwinger auf mich besonderen Eindruck. Die Römerspuren, an denen die Eifeler Heimat so reich ist, fesselte seitdem immer wieder die Aufmerksamkeit.


Die Burg Zievel bei Satzvey: Gutshof und Burg.

Und bei Zievel sind sie dicht genug gestreut. Im Erfttal liegt Crispiniacum, das heutige Kirspenich, und unweit davon die Reste der großen Villa mit herrlichen Mosaiken, die vielleicht ursprünglich gerade diesen Namen (nach dem Familiennamen Crispinius) trug und über die heute die Landstraße unmittelbar beim Dorf Weingarten daherzieht. Zwischen Zievel und Weingarten zog und zieht die gewaltige Wasserleitung vom Urftgebiet der stolzen Colonia zu; bei Belgica, dem heutigen Billig, lag eine militärische Abteilung zur Bedeckung dieses großen Werks, und talaufwärts, bei Iversheim, waren zu seinem Bau und seiner Unterhaltung große Kalkgruben im Betrieb, an die noch das heutige Kalkar (calcaria) erinnert. Bei Zievel selbst aber erhob sich einst ebenfalls eine große römische Villa; ihre Grundmauern wurden um die Mitte des vorigen Jahrhunderts aufgedeckt, leider ohne genau untersucht zu werden.

Der heutige Name Zievel ist seltsam; deutsch klingt er ganz und gar nicht. Wenn wir bedenken, daß an die Stelle großer Römervillen vielfach mittelalterliche Burgen traten, so wird uns auch hier der Gedanke an vordeutschen Ursprung nahegelegt. Und wenn wir weiter bedenken, daß anlautendes Z oftmals aus ursprünglichem T (infolge der althochdeutschen Lautverschiebung) entstanden ist - wie bei Tolbiacum = Zülpich und Tiberiacum = Zieverich -, dann dürfen wir nach der Ähnlichkeit sonstiger Bildungen an ein ursüprüngliches Tibulliacum, d. i. Hofgut eines Tibullius, denken. Die Endung „acum = ich“ ist ganz ebenso abgefallen, z. B. in Cröv = Croviacum, Pattern (Kr. Jülich) = Platerniacum, und in vielen andern Namen dieser Art. - Die bezeichnete Herleitung liegt umso näher, als diese Bildung von Ortsnamen gerade in der dortigen Gegend gang und gäbe ist. Wir nannten schon Kirspenich (Crispiniacum); und näher bei Zievel liegt Lessenich, mittelalterlich Letznich = Latiniacum. Allbekannt ist Mechernich (= Macriniacum) durch sein Bleibergwerk. Der Kreis Euskirchen zählt allein gut zwei Dutzend solcher Namen. (Vgl. u. a. meine Röm.-germ. Studien, S. 130 ff.)

Daß wir an der Stätte uralter Gründung stehen, kann die Tatsache zeigen, daß die Burg schon im Jahre 1107 urkundlich erwähnt wird; sie war damals Besitztum der Grafen von Limburg, aber auch diese hatten sie durch Erbschaft erworben: wir werden also in noch erheblich frühere Zeiten geführt. Die ältesten Namensformen sind Scivele und Civele (sc und c = Z), wobei zu bemerken ist, daß das Schluß-e auf den Schwund einer vollern Lautgruppe hinweist.


Burg Zievel.

Im Jahre 1822 kam Zievel in die Hand der Familie, die es noch heute besitzt: Hieronymus Krewel kaufte das Gut von einer Adelsfamilie v. Roth, an die es durch Heirat mit einer Gräfin Sophia von Metternich gekommen war. Durch Erbschaft und Kauf kam an die Familie Krewel ein gar köstlicher Schatz aus römischer Zeit: zwei Schmuckstücke aus Gold, die einzigen noch nicht verschollenen Stücke aus dem berühmten Grabfunde von Enzen aus dem 17. Jahrhundert. Der Schatz ist einzig in seiner Art auf deutschem Boden und kann nur mit den Schätzen aus dem Grabe des fränkischen Königs Childerich (+ 481) verglichen werden, das im Jahre 1862 in Tournay aufgedeckt wurde. Ungefähr um die gleiche Zeit fand ein Ackerer

zu Enzen beim Neubau seines Hauses ebenfalls ein fränkisches Grab - offenbar eines Mannes aus edelm, wenn nicht gar königlichen Geschlechts -, das gerade wie jenes zu Tournay neben fränkischen Waffen (Schwertgriff mit Wehrgehänge, Beinschienen) viel goldenes Geschmeide, u. a. 28 Ringe und angeblich auch eine Krone (?) enthielt. Und unter den Goldsachen befanden sich in beiden Gräbern auch altrömische Erzeugnisse, offenbar alte Erbstücke, die mit ins Grab gegeben waren. Der Steinsarg steht - stand wenigstens vor Jahren - noch in einem Gehöft zu Enzen. Aber die übrigen Funde sind leider seit langem in alle Wind verstreut. - bis auf die zwei Stücke auf Burg Zievel. Als ich nach mehr als einem Menschenalter wieder die gastliche Stätte aufsuchte, wo ich als Knabe gespielt und „das Römische“ bewundert hatte, zeigte mir mein Freund, der Spielkamerad von damals und der heutige Besitzer der Burg, Herr Landes-Ökonomierat Joseph Krewel, die beiden Kleinode: einen Armring und ein wunderbar feingearbeitetes Gehänge. Dieses letztere ist ein 16 ½ Zentimeter langes, aus feinem Golddraht geflochtenes Band, dessen beide Enden in aufgelöteten Goldkügelchen die lateinische Inschrift zeigen: utere felix (“Gebrauch's glücklich“). Es ist ein Meisterwerk altrömischen Goldschmiedekunst, und gleich vollendete und ähnlich gestaltete Stücke sah ich in dem Nationalmuseum in Neapel. Während bei dem Gehänge schon Form und Inschrift den römischen Ursprung bezeugen, kann der Armring immerhin auch fränkisch sein. Er stellt einen Reifen dar, der aus einem starken Golddraht und einem Perlenstab gewunden ist, und dessen beide

Enden in dünne, umgebogene Spitzen zum Einhaken auslaufen. Die Form ist eine im römischen Altertum gewöhnliche; aber sie kommt auch später noch vor. Denn die Franken waren keineswegs die „Barbaren“, als die sie lange gescholten worden sind; sie waren vielmehr bemüht, die (freilich in sich schon halb zusammengesunkene) Römerkultur, so gut es in der schweren Übergangszeit gehen wollte, weiterzuführen und haben tatsächlich viele Güter und Fertigkeiten einer verfeinerten Bildung dem Mittelalter überliefert. Manche römischen Villen und Kastelle wurden unmittelbar von den fränkischen Fürsten weiter benutzt, so - nach dem zeugnisse Gregors von Tours - Zülpich und Andernach von ripuarischen Herrschern. Und auch auf dem Boden des alten Tibulliacum wird ein fränkischer Großer sich sein Heim gegründet haben. Jedenfalls ist der alte Herrensitz ein stattliches Denkmal aus den Zeiten deutscher Macht und Herrlichkeit.

Eifelvereinsblatt 23. Jahrgang, No. 19, Mitte Sept. 1922, Herausgegeben vom Eifelverein, Selbstverlag, Schriftleitung Rektor Zender in Bonn.

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